Bernward auf den Spuren der Straßenkinder in Kathmandu / Nepal

2009

DATE UNKNOWN

"Jürgen D. lebt im Winterhalbjahr in einem einfachen Hotel in der Innenstadt Kathmandus, wo er (zum doppelten Zimmerpreis) ein großes Zimmer mit Dachterasse angemietet hat. Dafür dürfen aber auch Tag für Tag viele, viele Kinder zu ihm kommen, hier spielen, duschen, schlafen usw. usw."

Elf Tage auf den Straßen Kathmandus - Bernward auf den Spuren der Straßenkinder in Kathmandu / Nepal

Lange war meine Tour nach Kathmandu geplant und dann dies: Ausgerechnet am Vorabend meines Abflugs begann der Krieg in Afghanistan und damit eine ungewisse Situation auf meiner Flugroute über den Persischen Golf. Also morgens nochmals ins Reisebüro, ob überhaupt Flüge in die Richtung gehen, dann schnell mein Gepäck gepackt und ab zum Düsseldorfer Flughafen, wo das Bodenpersonal der KLM (wenn auch mit unwirschem Blick) meine 20 kg Übergepäck (Teddybären, Kinderkleidung und Medikamente von vielen unserer Lausbubenkinder und -eltern), gottseidank, gebührenfrei akzeptierten! Glück gehabt!

18 Stunden später landet die Boeing 757, nach langer Nacht auf dem ungemütlichen Flughafen von Dubai, in Kathmandu. Lange Schlangen an den Visaschaltern und dann bin ich plötzlich wieder mitten drin im asiati-schen Gewühle: Kaum aus dem Flughafengebäude getreten, stürzen sich Heerscharen von Männern und Kindern auf meine fünf Gepäckstücke, um sie in irgendwelchen Autos zu verstauen, da hilft mir nur ein freundliches, aber bestimmtes "Stop!!!", um noch Herr der Lage zu bleiben. Minuten später in irgend-einem Taxi Marke "Datsun, Baujahr 1978 o.ä.", ohne Außenspiegel, ohne Sicherheitsgurt, ohne Taxameter, Türen nur von außen zu öffnen, dafür aber mit einer ohrenbetäubenden Hupe, ins Kathmanduer Straßengewühl.

Wie wohltuend, eine gute halbe Stunde später in "meinem" Hotel Siddhi Ganesh im Stadtteil Bhote Bahal, unweit der Altstadt von Kathmandu, anzukommen und nochmal fünf Minuten später die Türe von "meinem" Room Nr. 408 von innen abzuschließen, den Deckenventilator anzuwerfen, mir die viel zu warmen Klamotten vom Leib zu reißen und mich aufs Bett zu werfen.

Stunden später wache ich gerädert auf, weiß nicht, ob Morgen oder Abend ist, und gehe auf meinen kleinen Balkon mit den Geranientöpfen: Die Sonne scheint gerade über den Bergketten am Rande des Kathmandu-Tales unterzugehen, ich höre von unten das übliche Gemisch aus Tuk-Tuk-Hupen, Kindergeschrei, Wanderhändlern, die mit Bratschen auf sich aufmerksam machen und kläffenden Hunden, dazu ein fernes Gedudel nepalesischer oder indischer Popstars. Am Himmel flattern überall kleine Papierdrachen, wie sie die Kinder hier jeden Abend auf den Hausdächern fliegen lassen - und allmählich, ganz allmählich glaube ich, dass ich wirklich wieder angekommen bin, in meinem geliebten Kathmandu!!

Die nächsten zehn Tage habe ich mir vormittags auf meinem Mietfahrrad viel von Kathmandu und Umgebung angesehen, während ich nachmittags zu Jürgen Dahm und den (Straßen-)Kindern schräg gegenüber von meinem Hotel ging. Viele der Kinder von meinem letzten Aufenthalt vor zwei Jahren kannte ich noch, so wie sie sich sehr über ein Wiedersehen mit "Krishna", wie ich dort genannt werde, da Bernward viel zu schwer auszusprechen ist, freuten. Dipu, Hira, Binot, Shankar, Khanchar, Sanu, Raju, Rabi und wie sie alle heißen: Kaum ausgepackt, liefen auch dreizehn- und vierzehnjährige Jungen auf einmal mit Teddybären im Arm durch die Gegend, wurden Jeanshosen, Pullover und buntbedruckte Kindersocken an den Körper gelegt, um Jürgen zu beweisen, dass sie wie maßgeschneidert auf den eigenen Körper passen. Tatsächlich aber wurden alle gespendeten Kleidungsstücke am nächsten Tag im Rahmen einer Lotterie gleichmäßig an alle Kinder und Jugendlichen verteilt.

Ich weiß nicht, wieviele Stunden wir in den nächsten Tagen zusammen "UNO" mit völlig verwitterten Karten gespielt haben, wieviele Kilometer wir zusammen durch die Gassen von Kathmandu gelaufen sind, z.B. um gemeinsam einen echten Lederfußball für alle Kinder zu kaufen, der noch am gleichen Abend auf dem großen Thundikel-Park mit großer Begeisterung ausprobiert wurde. Ich weiß nicht, wieviele Kilogramm Reis und Linsen ich beim täglichen Dal Bhat-Essen verspeist habe und wie oft die Kinder spontan getanzt und gesungen haben. Aber diesmal habe ich einige von diesen Bildern mit Michaels Stammeskamera einfangen können, um ein bisschen von meinen Eindrücken mit nach Deutschland nehmen zu können.

Am vorletzten Tag wurde ich eingeladen in der Familie von Sanu, welchen ich vor fünf Jahren erstmals kennengelernt hatte und welcher damals ein treuer Begleiter und Gepäckträger für mich war. Sanu, inzwischen ein junger Erwachsener, möchte so gerne ein kleines Momo-Restaurant eröffnen (Momos sind tibetische "Maultaschen") und sein Vater hatte die Hoffnung, ich könnte ihm bei diesen Wünschen helfen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich ihm nächstes Jahr gerne 2/3 der benötigten Summe von umgerechnet ca. 600,-DM schenke, wenn er es in dem Jahr davor schafft, selber 5.000,- Rupien zu erarbeiten und anzusparen.

In Windeseile war es wieder Freitag, Jürgen nahm mich am Vormittag noch mit ins Bir-Hospital, wo "seine" Kinder bei Krankheit und Verletzungen behandelt werden. Auf dem Weg dorthin kamen wir am Ratna-Park vorbei, in welchem viele der Kinder übernachten (tatsächlich sah ich einen kleinen Jungen im Kindergartenalter in einem Karton, der wohl sein Haus darstellte) und wir trafen auf Rabi, einen Vierzehnjährigen, welcher mir tags zuvor noch die hinduistische Verbrennungsstätte Pashupatinath gezeigt hatte, welcher jetzt jedoch als Bettlerjunge am Straßenrand seiner Arbeit nachging.

Auf dem Rückweg schnell noch etwas Yakkäse und Büffelsalami für zu Hause eingekauft und schon saß ich wieder im Taxi, welches mich zum Flughafen fuhr.

Wie fremd der Anblick der vielen Touristen für mich war, welche sicherlich alle atemberaubend schöne Touren durch die Himalayawelt hinter sich gebracht hatten. Nun, von der Bergwelt habe ich im Smog Kathmandus nicht sehr viel mitbekommen - zugegeben - aber tauschen würde ich für nichts in der Welt wollen mit den vielen unvergesslichen Eindrücken und Momenten, welche ich in diesen wenigen Tagen hier hatte.

Und wieder einmal schaute ich aus dem Flugzeug hinunter auf das Lichtermeer des nächtlichen Kathmandus und wusste: Irgendwo dort unten essen sie jetzt gerade wieder zusammen Dal Bhat, Dipu, Khale, Srinan und all die anderen! Es war schön bei euch. Danke, dass ihr mich ein wenig teilnehmen habt lassen an eurem spannenden Leben, an eurem Lachen, Tanzen, Streiten und Spielen. Auf Wiedersehen, Kathmandu!! Zurück in Viersen, freute ich mich sehr darüber, dass sich unsere Leiterrunde dafür entschieden hat, für das Straßenkinderprojekt von Jürgen Dahm 50% der erwirtschafteten Summe unserer großen Stammesaktion zu spenden. Ich bin mir ganz sicher, dieses Geld ist nicht nur "ein Tropfen auf den heißen Stein", sondern, wie Jürgen Dahm es auf seiner Homepage sagt - für das einzelne Kind, dem eine Schulbildung finanziert wurde, oder dem durch eine Operation das krumme Bein oder die verbrannte Hand gerichtet werden konnte - ist es nicht ein Tropfen, für sie oder ihn ist es vielleicht das halbe Leben!

Für Interessierte hier ganz kurz noch ein paar Infos über die Arbeit von Jürgen Dahm in Kathmandu:

Jürgen D. lebt im Winterhalbjahr in einem einfachen Hotel in der Innenstadt Kathmandus, wo er (zum doppelten Zimmerpreis) ein großes Zimmer mit Dachterasse angemietet hat. Dafür dürfen aber auch Tag für Tag viele, viele Kinder zu ihm kommen, hier spielen, duschen, schlafen usw. usw.. Im einzelnen bietet Jürgen den Straßenkindern (aber auch Kindern aus armen Familien) folgende Hilfen an, die individuell ganz verschieden sind und auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes ausgerichtet sind (im Sommerhalbjahr betreibt Jürgen D. übrigens ein ähnliches Projekt in Indonesien, in dieser Zeit haben die Kinder jedoch in Mahesh und Mukesh, zwei junge Männer, denen Jürgen früher die Schule bezahlte, regelmäßig Ansprechpartner, welche im Notfall dann auch stellvertretend für Jürgen eine notwendige Arztbehandlung u.a. in die Wege leiten und finanzieren):

Hilfe bei Krankheit und Verletzungen durch

Finanzierung von Behandlung und Nachbehandlung

Finanzierung von Schulbesuch, Schuluniform und

Unterrichtsmaterialien für schulwillige Kinder

zweimal täglich "Dal Bhat"-Essen mit durchschnitt- lich 20 - 30 Kindern und Jugendlichen

Hilfestellung bei Problemen der Kinder mit Behörden und Polizei (viele der Kinder werden ohne wirklichen Grund von der Straße weg verhaftet!)

Platz bieten zum Spielen, Erzählen, Malen, Musizieren usw.

im Notfall Bieten eines Übernachtungsplatzes

zweimal im Jahr Verteilaktion von gespendeten Kleidungsstücken

usw. usw. ...

Jürgen ist also zugleich ein bisschen Lehrer, Doktor, Vater, Erzieher oder einfach jemand, dem sich die (zur Zeit über 150) Kinder anvertrauen können in ihrem täglichen Kampf ums Überleben auf den Straßen Kathmandus.

Finanziert wird dies alles durch Spenden von Reisenden, die Jürgen D. als Reiseleiter in Nepal kennengelernt und dort seine Arbeit mit den Kindern erlebt haben, von Freunden und Bekannten und durch viel "Mundpropaganda".

Viel weitreichendere Informationen könnt ihr finden auf der (wöchentlich aktualisierten) Homepage von Jürgen Dahm:

http://www.geocities.com/juergendahm/

Bernward Weiß

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