Über die Adoption der Zwillinge Lena und Matthias aus der Slowakei berichtet die Familie Siegthaler aus Wien*

8 November 2003

SLOWAKEI

Über die Adoption der Zwillinge Lena und Matthias aus der Slowakei berichtet die Familie Siegthaler aus Wien*

Wie kam es, dass sie die Slowakei als Adoptionsland in Erwägung gezogen haben und warum haben sie sich letztlich dafür entschieden?

In der Slowakei ist das Haager Abkommen im Oktober 2001 in Kraft getreten und seit dieser Zeit vermittelt die Slowakei nur mehr Kinder an ausländische Bewerber aus anderen Mitgliedsstaaten wie z.B. Österreich. Unsere Adoption war die erste Adoption aus der Slowakei über Family4you, wenn nicht überhaupt die erste nach Österreich. Das hatte den Vorteil, dass sich alle wirklich sehr um uns bemühten und den Nachteil, dass eben noch wenig Erfahrungswerte bestanden.
Wir legten uns nach unserer Anmeldung bei Family4you nicht sofort auf ein Land fest, auch weil man damit auf das Geschlecht des zukünftigen Kindes Einfluss nimmt. Daher kontaktierte uns Family4you, ob wir Interesse hätten, aus der Slowakei zu adoptieren. Dem stimmten wir spontan zu, in dem Bewusstsein, dass in der Slowakei vorrangig Romakinder zur Auslandsadoption kommen. In der Zwischenzeit weiß man, dass hauptsächlich Buben adoptiert werden können, was damals aber noch nicht bekannt war.

Wie genau läuft eine Adoption aus der Slowakei ab?

Wir erhielten von den slowakischen Behörden einen Fragebogen, den wir auszufüllen hatten. Unter Anderem mussten wir unsere Wohnsituation genau beschreiben und mit Fotos dokumentieren, erzählen, was unsere Familie von unseren Adoptionsplänen hält, welche Wünsche wir selbst an unser/e Adoptivkind/er haben bzw. was wir ausschließen möchten und eine kurze Selbstdarstellung mit Fotos abgeben, die nicht älter als drei Monate sein sollten. Unser gesamtes Dossier umfasste elf Dokumente mit einem psychologischem Gutachten und einer ärztlicher Bestätigung inklusive HIV-Test.

Die Dokumente mussten von einer gerichtlich beeideten Übersetzerin ins Slowakische übertragen und im Anschluss an die zentrale Behörde C.I.P.C. ( "Centrum pre medzinárodnoprávnu ochranu detí a mláde?e? bzw. ?Center for the international legal protection of children and youth") in Bratislava übermittelt werden.

Kindergruppe mit Pflegerin

Wir hatten angegeben, dass wir ein bis zwei Kinder zwischen null und drei Jahren adoptieren wollen, die im Fall von Geschwistern auch etwas älter sein können. Unsere Papiere gingen im Februar nach Bratislava und bereits Ende April erhielten wir den Anruf mit einem Kindervorschlag für ein Zwillingspärchen im Alter von eindreiviertel Jahren. Dazu gab es drei Fotos für jedes Kind und ein Video von vierundzwanzig Minuten, welches (wie wir später erfuhren) auf Initiative der Heimleiterin entstanden war . Der Vorschlag erreichte uns aufgrund des bilateralen Abkommens zwischen C.I.P.C. und der Magistratsabteilung in Wien über die MA11. Auch unsere Zustimmung wurde von der MA11 bestätigt. Auf Anraten der Behördenvertreterin und um den Prozess etwas zu verkürzen, verzichteten wir auf unsere Einspruchsfrist, sodass unsere Absichtserklärung, den Vorschlag anzunehmen, sofort Gültigkeit erlangte. Im Nachhinein erfuhren wir, dass unsere beiden die jüngsten Kinder sind, die jemals aus der Slowakei ins Ausland adoptiert werden konnten.

Danach wurden wir informiert, dass mit der Adoption voraussichtlich im Herbst zu rechnen sei und dazu eine Gerichtsverhandlung erforderlich sein würde. Dazu muss gesagt werden, dass man in der Slowakei zehn Tage mit dem Kind im Land verbringen muss. Anfangs gingen wir daher davon aus, dass auch für uns zehn Tage ausreichen würden.

Im Schlafraum

Aber ein findiger Beamter stellte fest, dass sich die Aufenthaltsdauer zwei Kindern verdoppeln müsse (zwei Kinder = zwei mal zehn Tage Aufenthalt). Freundlicherweise wurde der Aufenthalt dann allerdings auf 15 Arbeitstage (also rund 20 Tage) verkürzt. Wir hatten letztlich knapp über drei Wochen in der Slowakei verbracht, wobei wir diese Zeit theoretisch auch zwischen den Ehepartnern aufteilen hätten können.

Nachdem wir den Geburtstag der Kinder im August gerne mit ihnen verbringen wollten, wurde das Verfahren auf unser Drängen hin beschleunigt, denn nur wenn bereits ein Gerichtstermin feststeht, ist es erlaubt, die Kinder zu besuchen. Plötzlich erhielten wir dann sehr kurzfristig für Ende August einen Gerichtstermin und hatten daher zu Hause genau drei Wochen Zeit, um unsere berufliche Situation zu regeln und für das knappe Monat in die Slowakei aufzubrechen. Gott sei Dank funktionierte aber alles! In der Slowakei selbst hatte Frau Dudova, die Repräsentantin von Family4you, wirklich alles perfekt für uns vorbereitet. Sie hatte für uns eine Pension mit einem sehr schönen Apartment organisiert und im Gegensatz zu unserem vom C.I.P.C. vorgeschlagenen Anwalt, hatte sie den Weg zum Kinderheim in Nitra schon vorher abgefahren. Von der slowakischen Autobahnvignette bis zu Getränken für die ersten Tage hatte sie sich um alles gekümmert, uns wo sie konnte unterstützt und uns Dinge abgenommen, die wir wahrscheinlich vergessen hätten. Wir möchten uns an dieser Stelle noch einmal herzlich bei ihr bedanken. Sie ist eine großartige Organisatorin, Dolmetscherin, Babysitterin, ... ? ein Mensch mit einem großen Herz!!!

In der Slowakei waren wir am ersten Tag im Heim. Dort wurde ? wahrscheinlich weil wir in diesem Bezirk der erste Fall einer Auslandsadoption waren ? eine Riesenversammlung abgehalten. Von einer Vertreterin des Sozialministerium angefangen bis zur lokalen Kreisbehörde, der Sozialamtsleiterin und der Psychologin waren alle vertreten, um uns in Augenschein zu nehmen.

Das Spielzimmer im Heim

Nach einem einstündigen Interview durften wir die Kinder im Beisein der Direktorin, der Psychologin und unserer Dolmetscherin endlich sehen. Der Kontakt war sehr, sehr positiv! Eigentlich war es eine Sache von wenigen Sekunden bis es "gefunkt" hatte. Fairer weise muss man aber dazu sagen, dass sich in der Gruppe mit unseren Zwillingen sieben Kinder befanden und wir wahrscheinlich sechseinhalb davon auf Anhieb mitgenommen hätten ...

Wir verbrachten dann die vorgeschriebenen drei Wochen in der Slowakei mit den Kindern, wobei wir langsam aneinander gewöhnt wurden. Am ersten Tag durften wir die beiden eine Stunde, am Zweiten am Vormittag und dann auch Vormittags und Nachmittags besuchen. Bei den ersten beiden Besuchen war die Psychologin dabei. Im Laufe der drei Wochen kam sie noch ein paar mal zu Besuch. Ihr Bericht war später für die Richterin eine Entscheidungsgrundlage für die Pflegeübergabe. Bald fiel der Direktorin auf, dass die Verabschiedungen vor der Mittagspause und dem Abendessen für die Kinder und uns schwerer und schwerer wurden. Die Kinder weinten jedes mal und waren ganz traurig, denn am Anfang waren wir natürlich so etwas wie ihre "persönlichen Spielmaschinen". Durch das Engagement der Direktorin durften wir die Kinder recht rasch in die Pension mitnehmen. Das wäre eigentlich innerhalb dieser drei Wochen erst ganz am Schluss vorgesehen gewesen. Im Endeffekt besuchten wir die Kinder sechs Tage lang im Heim und den Rest der Zeit durften sie dann bei uns in der Pension wohnen.

Die lange Wartezeit in der Slowakei stellte eine große Belastung für das Heim, für uns und vor allem für die Kinder dar. Jedes Mal, wenn unsere Zwillinge ins Heim zurück mussten, weil die Genehmigung auszustellen war, litten sie so unter dem Stress, dass sie sogar Rückfälle hatten, wie die eigene Sprache nicht mehr konnten, "ja" und "nein" verwechselten, einen ganzen Tag lang nichts mehr trinken wollten etc.

Auf der Heim-Terasse

In diesen drei Wochen gewöhnten sich die Kinder auch an die Pension und die Örtlichkeiten, sodass die Umstellung nach Österreich noch einmal relativ groß war. Wir würden ? im Interesse der Kinder ? befürworten, die Wartezeit in der Slowakei zu reduzieren. Allerdings ist dies eine Behördenauflage.

Bei der Gerichtsverhandlung befragte uns die Richterin sehr genau, z.B. wie unser täglicher Ablauf in Zukunft aussehen wird, ob wir uns bewusst seien, dass die Kinder Roma wären, wie unsere Familie darauf reagiere etc. Die Richterin dürfte sich sichtlich viele Gedanken zu unserem Fall gemacht haben.
Das Problem, das sich in der Slowakei stellt, ist, dass Richter nach der Verhandlung bis zu dreißig Tagen Zeit haben, das Urteil zu unterfertigen und dieses erst nach Zustellung an alle beteiligten Parteien rechtskräftig ist. Das heißt, man kann ab dem Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung damit rechnen, dass man vielleicht noch einen Monat in der Slowakei verbringen muss. Auch das teilte uns "unser" Anwalt erst vor der Verhandlung mit, als bereits alles für die Heimreise organisiert war. Um den Prozess zu beschleunigen, gab der rechtliche Vertreter der Kinder daraufhin eine Verzichterklärung ab, d.h. egal wie die Richterin urteilt, würde von seiner Seite kein Einspruch erhoben werden. Alle Beteiligten haben auf diese Einspruchsfrist verzichtet und glücklicher Weise konnten wir unser Urteil schon am nächsten Tag entgegen nehmen. Mit dem Pass und der Ausreisegenehmigung von C.I.P.C. konnten wir mühelos nach Österreich ausreisen.

Was im Moment leider noch immer ungeklärt ist, ist die Niederlassungsbewilligung für unsere beiden. Wir haben die Kinder jetzt ein Jahr in Voradoptionsfürsorge und dürfen sie erst danach adoptieren. Das heißt, wir haben im Moment das Problem des rechtlichen Aufenthaltstitels der Kinder in Österreich. Wenn man aus dem Ausland adoptiert, erfolgt die Adoption ja oft bereits im Ausland. Theoretisch hätten wir bei der österreichischen Botschaft in Bratislava einen Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung stellen müssen.

Mit den Zwillingen im Streichelzoo

Dieser kann dann je nach aktuellem Stand der Ausländerquote in Österreich genehmigt aber auch abgelehnt werden. Unsere Kinder gelten zur Zeit in Österreich als Pflegekinder. Während Adoptivkinder rechtlich mit leiblichen Kindern gleichgestellt sind, ist das bei Pflegekindern anders. Wir stellten jetzt auf Anraten des "bürgerdienstlichen Beratungsdienstes der Fremdenpolizei" ebendort einen Antrag auf "vorläufige humanitäre Aufenthaltsgenehmigung". Wird dieser Antrag von der Fremdenpolizei angenommen, gibt sie ihn an das Innenministerium weiter. Lehnt sie ihn ab, müssten die Kinder wieder ausreisen ... Das sind eben die Schwierigkeiten, die man erlebt, wenn man als erster aus einem Land adoptiert.

Können sie etwas über die Kinder erzählen, die aus der Slowakei zur Adoption kommen?

In der Slowakei kommen vor allem Romakinder zur internationalen Adoption, weil es im Land ein ethnisches Problem mit den Roma gibt. Die Roma sind eine Randgruppe, die wirtschaftlich und sozial nicht gut gestellt sind. Wir haben auch einige wenige Informationen über die leibliche Mutter unserer Zwillinge bekommen: Namen und Alter der Mutter und die sozialen Verhältnisse.

Es gibt sehr viele Kinderheime in der Slowakei, wobei die Kinder in den Heimen nicht alle zur Adoption freigegeben werden. Viele von ihnen haben den Status von Pflegekindern und auch in Krisensituationen kommen die Kinder in Heime, weil Pflegefamilien in der Slowakei eher eine Ausnahme sind. Unseren Informationen nach befinden sich zur Zeit über 8.000 Kinder in Heimen. Nur wenige davon gehen ins Ausland und das ist auch nur dann möglich, wenn sie im Inland eine gewisse Anzahl an Ablehnungen erfahren haben. Nachdem allerdings jeder Kindervorschlag für adoptionswillige Slowaken aus mehreren Kindern besteht und von sechs oder sieben Kindern nur eines zum Zug kommt, ist es nicht schwer für ein Kind, mehrere Ablehnungen zu erhalten. Die Kinder, die ins Ausland adoptiert werden dürfen, müssen dann an die zentrale Behörde in Bratislava gemeldet werden, die als Vermittlungsstelle fungiert.

Was das Heim selbst betrifft, so kannten wir Ostblockheime aus Zeiten des eisernen Vorhanges und müssen sagen, dass wir sehr positiv überrascht waren. Den Kindern fehlt es materiell an gar nichts. Sie haben zwar, wie in Kinderheimen üblich, nichts, was ihnen persönlich gehört, aber das Heim hat vom Dreirad über Fahrrad und Ringelspiel, Rutschen und Schaukeln wirklich alles, was sich Kinder wünschen. Unsere Kinder waren von Geburt an im Heim und wir sind sehr froh, dass sie in diesem speziellen Heim gelebt haben, weil sie hier sehr viel Zuwendung erfuhren und keine negativen Erfahrungen mit Menschen machen mussten. Das Heim ist auch für behinderte Kinder offen. Es besteht aus sechs Gruppen von jeweils bis zu acht Kindern, die relativ altersheterogen sind. Die Betreuer kümmern sich rotierend um die einzelnen Gruppen. Wir hatten das Gefühl, dass die Kinder im Heim keine fixe Bezugsperson kannten, was sozial vielleicht ein "kleines" Problem darstellt. Vor allem unser Sohn hat sich am Anfang nicht richtig angreifen oder zärtlich berühren lassen, was sich inzwischen aber schon sehr verändert hat. Darüber hinaus konnten wir aber keine Retardierungen feststellen.

Unsere Zwillinge haben uns als Eltern sehr schnell anerkannt. Während unseres Aufenthaltes in der Slowakei, hatten sie sich aber auch anderen slowakisch sprechenden Menschen angeschlossen. Wenn wir im Park waren, die Kinder nicht gefolgt haben und es kam jemand vorbei, der slowakisch mit ihnen sprach, dann sind sie mit diesen Leuten einfach mitgegangen. Allerdings passierte das sehr wohl im Wissen, dass sie zu uns gehören und um uns mit einem Grinsen zu beweisen, dass es auch ohne uns geht. Seit wir in Österreich sind, ist es aber keine Frage mehr, dass wir Mama und Papa sind und Mama darf in der Zwischenzeit auch nicht mehr fortgehen.

Vor allem die Leute aus dem Heim waren sehr überrascht, wie rasch sich die Kinder, vor allem Matthias, in den drei Wochen unserer Anwesenheit zum Positiven verändert hatten. Matthias war als wir ihn kennen lernten ein sehr bewegungsfaules Kind, das vor allem saß und beobachtete und abgesehen von drei Worten nichts sprach. Heute turnt und klettert er höher und weiter als seine Schwester.

Wenn sie an die Slowakei denken, welche Eindrücke hat das Land bei ihnen hinterlassen?

Wir müssen gestehen, dass wir die Slowakei vorher nicht gekannt haben, obwohl sie ein Nachbarland ist. Umso positiver waren wir dann von der landschaftlichen Schönheit und von der Bevölkerung des Landes überrascht. Ich würde sogar sagen, dass uns die Slowaken sozial und in den zwischenmenschlichen Kontakten überlegen sind. Generell sind die Slowaken sehr kinderfreundlich. Auch alle Beteiligten an unserer Adoption waren wirklich ausnehmend entgegenkommend und bemüht.

Die Slowakei hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Man sieht zwar den alten Ostblock noch, aber es ist ausgesprochen viel im Entstehen. Nicht umsonst hat das Land bei den EU-Berichten von ganz hinten auf den zweiten Platz aufgeholt. Das merkt man auch.

Welche Ansprechstellen und Links würden sie Leuten empfehlen, die sich über die Slowakei und eine Adoption aus der Slowakei schlau machen wollen?

Family4you
Hoffingergasse 16/3/6
A-1120 Wien
tel. 01/804-48-28
office@family4you.at
http://www.family4you.at

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*alle Namen von der Redaktion geändert

 

Veröffentlichungsdatum: 08.11.2003