Vorwurf Kinderhandel

8 April 2011

Vorwurf Kinderhandel

Verzweifelter Kampf um Pflegekind Kristin/Nicoletta

Ralph Bauer/UIrich Kraetzer, aktualisiert am 08.04.2011 um 00:10 Uhr

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Uwe und Korinna Biemueller mit ihrem Sohn Nico (l.) und Pflegekind Nicoleta/Kristin – die Kleine soll zurück in ihre fremde Heimat. Foto: dapd

SCHWEINFURT Kristin hat keinen Hunger. Sie will schnell raus, um zu spielen. Vorbei an der Schaukel, an dem großen Hund und dem Stall läuft sie auf die Wiese. Das Leben auf dem Bauernhof in Zeitlofs in der Rhön bei Bad Brückenau scheint sie in vollen Zügen zu genießen. Von dem ganzen Ärger hat sie bisher nichts mitbekommen. Zum Glück. Denn das Gezerre um die Vierjährige, in dem mal von Adoption, dann von Kinderhandel, mal von Pflegschaft, dann wieder von Entführung und Rückführung die Rede ist – all das ist mehr, als das Mädchen verkraften könnte.

Seit dieser Woche läuft wieder ein Gerichtsverfahren in ihrer Sache. Zwei Frauen müssen sich in einer Berufungsverhandlung vor dem Schweinfurter Landgericht verantworten. Der Vorwurf: Kinderhandel. Als Zeugen sind auch die leibliche Mutter und der leibliche Vater der Kleinen geladen. Sie wollen ihr Kind so schnell wie möglich zurück holen. An ihren Geburtsort in Rumänien. In die unbekannte Heimat, in der die Menschen eine Sprache sprechen, die sie nicht versteht. Zu Personen, die für sie fremde Menschen sind.

Kristin, die damals noch Nicoleta hieß, kam im Örtchen Giulvaz im äußersten Westen von Rumänien zur Welt, am 5. September 2006. Ihre Eltern Viorel und Gabriela hatten keine geregelte Arbeit und kein Geld, dafür bereits acht Kinder, und mit Kristin nun eines, das dringend medizinische Hilfe benötigte.

Der Pflegschaft sollte eine Adoption folgen

An dieser Stelle der Geschichte kommt Korinna B. ins Spiel. Nach einem glücklich ausgegangenen persönlichen Schicksalsschlag beschloss die damals 39-Jährige, ein bedürftiges Kind zu adoptieren. Über einen Zeitungsartikel lernte die Mutter von drei Kindern Estera S. kennen. Die Deutsch-Rumänin betrieb in ihrem Herkunftsland ein Kinderheim, bei einer Reise nach Rumänien vermittelte sie Korinna B. den Kontakt zu Nicoletas Eltern.

Unter Mitwirkung von Estera S. vereinbarten sie mit der Fränkin eine auf ein halbes Jahr befristete Pflegschaft, damit Nicoleta in Deutschland medizinisch behandelt werden könnte. Der Pflegschaft, so schildert es jedenfalls Korinna B., sollte eine Adoption folgen. Estera S. habe sich bereit erklärt, die Formalitäten zu erledigen. „Sie hat gesagt, sie hätte gute Verbindungen“, versichert die Pflegemutter. Dass ihr Plan unzulässig war, hätte sie aber wissen können. Auslands-Adoptionen wurden in Rumänien schon 2005 verboten.

In Deutschland ließ Korinna B. das Kind taufen und gab ihm einen neuen Rufnamen: Aus Nicoleta wurde Kristin. Eine Rechtsgrundlage dafür hatte die Frau nicht. Dann forderte Estera S. Geld, mal vorgeblich für die Familie von Nicoleta, dann angeblich zur Renovierung des Kinderheims.

Die Aussagen sind widersprüchlich

Im Januar 2007 eskalierte die Situation. Nicoletas Mutter kam auf den Hof in Zeitlofs, um ihre Tochter zu sehen. Als es bei einem Streit wieder mal um Geld ging, weigerte sich die Pflegemutter zu zahlen – und plötzlich sollte sie Nicoleta herausgeben. Ob die leibliche Mutter dies forderte oder die Tochter der Kindesvermittlerin, Anneliese J., ist unklar. Die Aussagen sind widersprüchlich. Klar ist nur: Letzten Endes blieb das Kind.

Dass die Vermittlung von Nicoleta ein Fall von Kinderhandel gewesen sein könnte – davon will Korinna B. nichts gewusst haben. Ende Januar 2007 meldete sie den Fall dem Jugendamt. Im Januar 2009 verurteilte das Amtsgericht Bad Kissingen Estera S. wegen versuchten Kinderhandels und Betruges zu einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein. Estera S. und ihre wegen einer Ordnungswidrigkeit zur Zahlung einer Geldbuße verurteilten Tochter ebenfalls. Sie seien unschuldig, versichern beide. Von einer Adoption sei nie die Rede gewesen. Geld hätten sie für die vermittelte Pflegschaft nie verlangt. „Frau B. wollte das Kind behalten, obwohl klar war, dass das nicht geht. Und obwohl die Eltern ihre Tochter zurück wollten“, sagt Anneliese J., die Tochter von Estera S.. Die Eltern von Nicoleta stützen diese Aussage. Gegen Korinna B. stellten sie im September 2010 bei einem rumänischen Gericht Strafantrag.

Den Wahrheitsgehalt der sich widersprechenden Aussagen konnte das Landgericht Schweinfurt bislang nicht klären. Letzte Woche begann dort das Berufungsverfahren. Um die Zukunft von Nicoleta geht es dabei nicht. Dennoch könnte sich das Schicksal des Mädchens bald entscheiden. Die Eltern wollen ihr Kind zurück nach Rumänien holen. Korinna B. wird sich kaum dagegen wehren können. Denn Nicoleta ist rumänische Staatsangehörige. Sie ist verzweifelt: „Wenn die Kleine zurück müsste, würde sie das nicht überleben.“