Zwei Kinder sitzen in Chile fest, weil ihre Adoptiveltern nach dem Erdbeben sofort helfen wollten.

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7 February 2010

Zwei Kinder sitzen in Chile fest, weil ihre Adoptiveltern nach dem Erdbeben sofort helfen wollten.

Von Romina Lenzlinger | Aktualisiert um 00:48 | 07.02.2010

Eigentlich sollten Talia* (1) und Samu* (3) heute Nachmittag im Flugzeug nach Zürich sitzen. Doch jetzt stecken die Geschwister aus Haiti mit ihrem Schweizer Adoptivvater in Chile fest – weit weg von ihren leiblichen Eltern in Port-au-Prince und weit weg von ihren vier älteren Geschwistern. Aber auch Tausende von Kilometern entfernt von ihrem neuen Zuhause im Kanton Zürich.

Den beiden winkt eine schöne Kindheit in der Schweiz. Ein Ehepaar aus dem Kanton Zürich will sie adoptieren. Die leiblichen Eltern von Talia und Samu waren damit einverstanden: Sie haben zu wenig Geld, um sechs hungrige Kinder zu ernähren.

Zunächst nahm alles seinen geordneten Lauf: Im Mai 2009 begann das langwierige Adoptionsverfahren in der Schweiz und in Haiti. Im November reisten die Schweizer nach Port-au-Prince und verbrachten mit den Kindern zwei intensive Wochen.

Der Abschied war herzzerreis send. Samu wäre am liebsten gleich mit nach Zürich gereist. Doch die neuen Eltern durften die Kinder noch nicht mit nach Hause nehmen. Dann kam der 12. Januar 2010: das gros se Erdbeben. Port-au-Prince lag in Trümmern. Von 200´000 Toten ist die Rede. In Zürich bangten die Adoptiveltern um das Leben der Kinder. Sie wussten zwar bald, dass Talia und Samu leben, doch Hunger und Seuchen drohten. Und es mehrten sich Berichte über Menschenhändler, welche Kinder auf der Strasse aufgreifen und ins Ausland verschachern. Das Paar hatte Angst, Talia und Samu könnte etwas zustossen.

In ihrer Not wandten sie sich an die Adoptionsbehörde, das Amt für Jugend und Berufsberatung (AJB) in Zürich, und baten um eine Sondergenehmigung. Sie wollten die Kinder so schnell wie möglich aus dem Katastrophengebiet holen. «Die Zuständigen stellten eine Ausnahmelösung in Aussicht, allerdings nur unter der Bedingung, dass das Ehepaar die Kinder selber in Haiti abholt», erzählt ein Bekannter der Familie.

Weil Haitis einziger Flughafen nur noch für Hilfsflüge offen war, flog der Adoptivvater in seine alte Heimat Chile: in der Hoffnung, von dort nach Haiti reisen zu können. Dank guten Kontakten und viel Glück fand er schliesslich eine andere Lösung: Chiles Botschafter in Haiti machte Talia und Samu in Port-au-Prince ausfindig und brachte sie in einem Flugzeug der chilenischen Luftwaffe unter, das chilenische Erdbebenopfer ausfliegen sollte.

Fast zeitgleich hatte die Zürcher Adoptionsbehörde der Mutter in Zürich noch signalisiert, dass die Kinder allenfalls mit einem Sonderflug des Schweizer Aussendepartements von Haiti in die Schweiz reisen könnten. Doch das Angebot kam zu spät. Talia und Samu sas sen bereits im chilenischen Lufttransporter.

Die beiden Knirpse verliessen am 22. Januar ihre Heimat – zusammen mit Leichen in Säcken in einer chilenischen Militärmaschine. Und nach wenigen Stunden schloss sie ihr Adoptivvater in Santiago de Chile überglücklich in die Arme. Zwei Wochen später wollte er weiterfliegen, nach Zürich. Bis dann, so hoffte er, seien alle Formalitäten erledigt.

Doch nun ist ein Happy End in weiter Ferne. Die Kinder haben noch immer keine Reisepapiere. Gemäss Recherchen von SonntagsBlick waren sie ohne die erforderlichen Adoptionsbewilligungen der haitianischen Behörden ausgereist. Die Dokumente liegen unter den Haustrümmern einer Anwältin in Port-au-Prince.

Seit zwei Wochen sitzen Talia und Samu nun in Chile fest, etwas ausserhalb der Hauptstadt Santiago bei der Familie ihres Adoptivvaters. Die Schweiz lässt die Kinder ohne die nötigen Papiere nicht einreisen. «Bei Adoptionen müssen die standardisierten Abläufe eingehalten werden», sagt Christine Luchsinger, stellvertretende Chefin im Amt für Jugend und Berufsberatung. Mehr will sie aus Datenschutzgründen nicht sagen. Nur so viel: «Wir wissen, dass es den beiden Kindern gut geht.» Gar nicht gut geht es der Adoptivmutter daheim in Zürich. Stundenlang sitzt sie im Kinderzimmer und weint.

Doch die Regeln sind klar. «Wir warten auf die Einreisebewilligung der Schweiz. Bis wir sie haben, können wir nichts tun», sagt der Schweizer Konsul in Santiago de Chile, Florian Köppel, zu SonntagsBlick. Wann sie kommt, weiss allerdings niemand.

* Namen der Redaktion bekannt

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