Das Magazin, Nr. 39
30. September 2006
Peer Teuwsen, Bilder Thomas Ott
Der Kindermarkt
Jedes sechste Schweizer Paar will ein Kind und bekommt keines. Die Nachfrage nach Adoptivkindern steigt. Doch der Weg ins Glück führt oft durch die Hölle. Warum im Adoptionswesen so viel schief läuft.
Mit der Selbstverständlichkeit einer Dreijährigen sitzt das indische Mädchen auf seinem Tripp-Trapp, trinkt Sirup und stopft ein Schinkenbrötchen nach dem andern in den Mund. Die Schweizer Eltern sitzen am Esstisch ihrer Stadtwohnung, die Mutter stützt den Kopf in die Hand, der Blick des Vaters geht ins Leere. Dann verwenden beide das Wort «Wunder». Auf Momente wie diese haben sie fünf Jahre lang gewartet. Jetzt sind beide jenseits der vierzig.
Es war im Sommer dieses Jahres, als die Eltern nach Kalkutta flogen, um das Mädchen Shalini aus einem von Mutter Teresa gegründeten Waisenhaus zu holen. Die Adoptions- vermittlungsstelle von Terre des Hommes hat es ihnen vermittelt, sie waren froh, dass sie die Wahl nicht selbst hatten treffen müssen.
Ein Zebra brachten sie Shalini mit, gefüllt mit Legosteinen. Wenn sie zurück ins Hotel gingen, füllten sie das Zebra mit neuen, kleinen Geschenken. So ging es ein paar Tage, bis Shalini plötzlich auf ihren neuen Vater und ihre neue Mutter zuging und jedem einen Kuss auf die Lippen drückte. Vom ersten Moment an spürten die Eltern eine «tiefe Verbundenheit». Endlich haben sie das Kind, auf das sie über fünf Jahre warten mussten, das Kind, das Linda und Renato Herger schon zu haben meinten, als sie vor drei Jahren nach Rumänien gereist waren.
Im Jahr 2001 hatte sich das Ehepaar Herger für die Adoption mit einer staatlich bewilligten Vermittlungsstelle entschieden, weil es sich von dieser Methode einen Schutz vor Korruption versprach. Die Liste der Vermittlungsstellen wird vom Staat geführt, der auch die Bewilligung der Adoptionsvermittlungsstellen vornimmt. Hergers entschieden sich für RomAdopt mit Sitz im aargauischen Baden. Die Vermittlungsstelle lockte mit einer «Sonderbewilligung» der rumänischen Regierung, mit der man den seit Sommer 2001 geltenden Adoptionsstopp umgehen könne. Das Ehepaar klärte bei den Behörden den Status dieser Sonderbewilligungen ab und erhielt die Antwort, wenn RomAdopt eine amtliche Bewilligung habe, dann sei alles in Ordnung.
Linda und Renato Herger, die endlich Eltern werden wollten, hatten alles offen legen müssen, was man hierzulande lieber für sich behält: Finanzen, Gesundheit, Beziehung, Wohnverhältnisse. Sie hatten Dutzende von Formularen ausgefüllt, Hunderte von Dokumenten übersetzen, beglaubigen und rückbeglaubigen lassen – und alles in allem 15 000 Franken an die Adoptionsvermittlungsstelle überwiesen.
Im Vergleich zu den Behörden war Rom-Adopt wesentlich speditiver. Kaum hatten Linda und Renato Herger ihr definitives Interesse gegenüber RomAdopt bekannt gegeben, flatterte auch schon ein Bild der süssen Maria ins Haus, die nun auf sie warten würde, und ebenso ein Besuchstermin in Rumänien. RomAdopt, der schnelle Storch, schickte auch gleich einen Einzahlungsschein mit.
Dann folgte die Reise nach Bukarest und weiter aufs Land. Das Kinderheim St. Andrei in Giurgiu war das Ziel. Dort sollte ein gesundes Mädchen auf das Ehepaar Herger warten. Übermächtige Nervosität. Ein Mann namens Dan Aurel, der sich als Gewährsmann von RomAdopt vorstellte, nahm die Hergers und viele andere Paare aus der Schweiz beim Kinderheim in Empfang, eine Sonnenbrille von Gucci im Gesicht, einen Anzug von Armani auf dem Körper. Er kassierte 6000 Dollar und brachte ihnen gleich ein Kind: Maria, geboren Ende 2001.